Das Mysterium der Liebe

Das Mysterium der Liebe

Eine Abhandlung über das Mysterium der Liebe

„Ich wandere umher und stehe ganz in Flammen,
aus sehnsüchtiger Liebe bin ich überströmt von Blut,
bin weder vernünftig noch verrückt,
komm‘ nur und schau, was die Liebe mit mir macht!

Manchmal wehe ich wie der Wind,
manchmal wirble ich Staub auf den Wegen auf,
manchmal fließe ich dahin wie die Flut,
komm‘ nur und schau, was die Liebe mit mir macht!“
Worte des türkischen Dichters Yunus Emre

Wisse: Liebe ist kein Gefühl oder eine angenehme Empfindung. Ein Gefühl mag lange anhalten, doch ist es in seiner Essenz vergänglich. Man denkt: Liebe entsteht scheinbar willkürlich mit einer zufälligen Person zu einer zufälligen Zeit an einem zufälligen Ort.

Doch Liebe ist mehr als das. Es ist eine Idee, ein Konzept. Etwas, was nahezu unbegrenzte Macht über Gefühle hat und die intensivsten von ihnen hervorbringt: Eifersucht, innige Zuneigung und leidenschaftliches Begehren.

Wahrhafte Liebe ist vor allem rar. Und gerade deshalb dürsten alle Menschen danach. In der einen Form oder der anderen trachtet jeder nach Liebe. So lässt sich auch erklären, warum wir Jahr für Jahr Bücher, Musik, Filme und Serien über Liebe verschlingen, seien sie glücklicher oder unglücklicher Ausprägung.

Doch wonach dürstet es uns genau? Ist es, jemandem Liebe zu geben? Oder ist es viel mehr, geliebt zu werden?

Von ersterem sind wir überzeugt, es zu beherrschen und freimütig zu tun (auch wenn daran oftmals gezweifelt werden darf). Wir denken, es sei ein leichtes, zu lieben. Das dem nicht so ist, darauf werde ich nachher noch eingehen.

Für viele scheint vor allem letzeres zu sein, woran es uns fehlt: Geliebt zu werden. Der Mensch möchte nichts mehr, als geliebt werden – denn das Geliebtwerden versetzt uns in Ekstase.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass jeder unterschiedliche Dinge unternimmt, um geliebt zu werden. Der eine eilt Erfolg und Reichtum nach, die andere der Schönheit und Macht. Wir suchen danach, mit interessanten Gesprächen und abenteuerlichen Geschichten andere in unseren Bann zu ziehen, um unseren gesellschaftlichen Wert zu steigern. Wir lassen nichts ungeschehen, um uns so liebenswert wie nur möglich in den Augen anderer zu machen.


Materialistische Liebe

Und darin liegt auch die Perversion der Idee der Liebe begraben. Denn das gegenwärtig am häufigsten anzutreffende Modell der Liebe in unserer Gesellschaft ist ein durch und durch materielles. Man misst jedem Menschen einen bestimmten Wert bei.

Mensch A hat die Besonderheiten „Intelligenz und Schönheit“. Also ist er in der Summe attraktiver als jemand, der nur intelligent ist, aber nicht schön. Anders gesagt: Wir suchen nach einer Person, die möglichst viele gesellschaftlich angesagte Eigenschaften in sich vereint und als möglichst begehrenswert gilt. Anschließend schätzen wir unseren eigenen Wert ein. Wenn die Wertungsskala dicht beieinander liegt, wir also in etwa genauso viel wert sind oder mehr als der andere, dann klappt die Liebe. So schockiert es uns geradezu, wenn zwischen einem ärmlichen Unbekannten und einer wohlhabenden Berühmtheit Liebe entsteht (–> „Der spielt nicht in ihrer Liga“, so, als ob nur materiell Gleichwertige einander lieben könnten).

Allzu oft höre ich von Bekannten: „Wieso hast du so früh (Anm. d. Verf.: mit 19 Jahren) geheiratet? Woher weißt du, dass die Person die Richtige ist? Du hättest weiter Ausschau halten sollen, vielleicht hättest du später jemanden getroffen, der noch besser ist…“ Dieser Gedankengang ist ein beispielhafter Ausdruck der Perversion der Idee der Liebe. Denn Liebe ist keine Abwägung, kein Pro und Contra. Weder unsere Liebe noch wir selbst sind eine Ware.

Der islamische Gelehrte Maulana Dschalaladdin Rumi sagte:
„Nenn‘ den Verstand des Liebenden nicht Verrücktheit!
Nenn‘ nicht den, der ganz in der inn’ren Seelenwelt aufgeht, einen Lügner!
Nenn‘ einen endlosen Ozean nicht einen Becher!
Er weiß viel besser, welcher Name ihm gebührt.“

Darüber hinaus darf Liebe nicht mit Verliebtsein gleichgesetzt werden. Verliebtsein ist ein anfänglicher Zustand, der unsere Begeisterung für das Finden einer scheinbar seelenverwandten Person beschreibt. Wir müssen offenbar nicht länger alleine auf der Welt sein, haben wir doch vermeintlich einen „Lebensgefährten“ ausfindig gemacht. Doch Verliebtheit ist nicht von Dauer, da das geheimnisvolle Erkunden der Natur des anderen irgendwann der Vertrautheit weicht.

Wenn man Glück hat, ist diese Vertrautheit ursächlich für eine innige Verbundenheit, die permanent sein kann. Wenn man jedoch Pech hat, dann ist diese Vertrautheit die Prämisse für Langeweile und berechenbaren Alltag. Und diese langweilige Berechenbarkeit tötet im Laufe der Zeit die Liebe, sodass diese am Ende der Gleichgültigkeit oder sogar dem Streit und Hass weicht.



Wir haben jetzt dargelegt, was Liebe nicht ist. Was ist also Liebe? Es gibt verschieden Arten der Liebe, von denen alle bis auf eine nicht von Dauer sind. Im Folgenden werde ich einige Arten der Liebe vorstellen:

Einen Menschen lieben, um durch ihn zu etwas zu gelangen

Du liebst einen Menschen, weil du durch ihn an etwas begehrtes gelangst. Diese Liebe ist ähnlich zu der Liebe zu Geld: Geld an sich ist nicht begehrenswert, denn man kann es weder essen noch sich damit bekleiden. Aber Geld wird geliebt, weil es ein Mittel ist, mit dem man Begehrenswertes kaufen kann. So werden manche Menschen geliebt, um durch sie an Ruhm, Reichtum, Wissen oder Ehre zu gelangen.

Einen Menschen um seiner selbst willen lieben

Du liebst jemanden seiner selbst willen. Du freust dich, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, in seiner Gegenwart zu sein und Zeit mit ihm zu verbringen, weil du die Eigenart seiner Person schön findest. Diese Schönheit kann in vielen Formen wahrgenommen werden, etwa in der äußeren oder inneren Gestalt. Ein schöner Leib oder ein schönes Gesicht kann für viele eine ungeheuere Faszination ausüben, ebenso wie eine besondere Persönlichkeit, ein edler Charakter oder eine sanfte Wesensart. Die innere Gestalt bestimmt, wie sich ein Mensch benimmt, welche Dinge ihn interessieren und wonach er im Leben strebt.

Du liebst jemanden seiner selbst willen, weil du dich ihm in deinem Inneren verbunden fühlst, vielleicht weil du ähnliche Vorstellungen vom Leben oder ähnliche Wünsche an die Zukunft hast. So heißt es: „Jeder Mensch hält sich zu seinesgleichen, so wie jeder Vogel mit seiner Art fliegt. Wenn zwei noch so lange zusammen sind, werden sie sich doch wieder trennen, wenn sie nicht irgendeine Ähnlichkeit miteinander haben.“



Das Wesen des Menschen

Meister Yunus Emre schreibt:
„Ich bin nicht gekommen, um zu streiten,
meine Aufgabe ist die Liebe;
die Heimstätte des Geliebten sind die Herzen,
und ich kam, die Herzen zu heilen.“

„Wisse: Um die Liebe zu verstehen, musst du dich selbst erkennen. Es gibt nichts, was dir näher ist, als du selbst. Wenn du dich selbst jedoch nicht kennst, wie willst du dann andere erkennen und gar lieben?

Sagst du: „Ich kenne mich doch!“, so irrst du dich, denn solche Erkenntnis taugt nicht zum Schlüssel für die Erkenntnis Gottes. Auch die Tiere kennen so viel von sich selbst wie du von dir. Dies äußere Haupt und dies Gesicht, diese Hand und diesen Fuß, dies Fleisch und diese Haut, die kennst du, sonst nichts; von deinem Inneren aber weißt du gerade so viel, dass du issest, wenn du hungrig bist, die Menschen angreifst, wenn du zornig wirst und nach Begattung strebst, wenn die Begierde über dich kommt. Darin aber sind dir alle Tiere gleich.“ (aus „Das Elixier der Glückseligkeit“ von Imam Ghasali)

Der Mensch ist gewiss erschaffen. Er hat einen Anfang und entstammt nicht der Ewigkeit. Er ist jedoch für die Ewigkeit bestimmt. Das Wesentliche an der menschlichen Existenz ist ja, dass Allah den Menschen über das Tierreich erhoben hat, indem er dem Menschen von seinem Geist eingehaucht hat. Wir sind nicht länger Sklaven unserer Instinkte oder unserer Triebe, wie es unsere tierischen Mitbewohner der Welt sind – außer, wir entscheiden uns aktiv dafür.

„Essen, Schlafen und Begatten sind das Glück des Viehs. Gehörst du also zum Vieh, so befleißige dich der Werke des Bauches und der Zeugungsglieder Tag und Nacht. Falls nicht, dann suche zu erkennen, wozu die Triebe der Raubtiere und des Viehs in dich gelegt sind, ob sie dir dazu anerschaffen sind, dass sie dich zu ihren Sklaven machen, sodass du ihnen dienen musst, oder dazu, dass du sie zu deinen Sklaven machst und sie auf deiner Lebensreise nutzen kannst?“ (ebd.)

Ich, Über-Ich und Ego
Der Dschihad, also die Anstrengung auf dem Wege Gottes, bezeichnet den Kampf des Ichs um die Kontrolle des Egos und des Über-Ichs. (siehe Instanzenmodell Sigmund Freuds)


Solange du nicht weißt, wer du bist, kannst du nicht nach deinem Glück und auch nicht nach Liebe suchen.

„Darum sollst du nach Erkenntnis deines wahren Wesens streben, was du bist, woher du gekommen bist, wohin du gehst, und zu welchem Zweck du für diese paar Tage in diese Karawanserei gekommen bist, wozu du erschaffen bist, worin dein Glück besteht und wodurch du glücklich wirst, worin dein Elend besteht und wodurch du elend wirst.“ (ebd.)

So sagt der islamische Gelehrte Dschalaladdin Rumi in seinem Mathnawi:
„O Reisender auf dem Weg der Wahrheit! Erst wenn du deine äußere Gestalt, die Einflüsterungen, die dich beherrschen, und dein von Stolz erfülltes Selbst verbrennst, wenn du dich von der Anbetung deines eigenen Egos, der Mutter aller Götzen, befreist, hast du gelernt, alle inneren Götzen zu zerschlagen.“

Wenn du dich selbst erkennen willst, so musst du wissen, dass du aus drei Dingen geschaffen bist.

  1. Das eine ist die äußere Hülle, dein Körper.
  2. Das andere ist dein Intellekt/Verstand/deine Vernunft, mit dem/der du denkst.
  3. Das letzte ist dein Geist oder Herz, mit dem du fühlst und dass dich mit Gott verbindet.

„Dein Geist oder Herz ist dein wahres Wesen, alles andere ist nur sein Gefolge und seine Dienerschaft. Wenn ich Herz sage, dann meine ich nicht etwa jenes Stück Fleisch, das in deiner Brust sitzt; denn das hat keinen Wert, und auch die Tiere und Toten besitzen es, und man kann es mit dem äußeren Auge sehen. Alles aber, was man mit diesem Auge sehen kann, gehört dieser Welt an. Das Herz/der Geist ist jedoch nicht von dieser Welt, sondern befindet sich auf einer vorübergehenden Reise durch das Irdische. Die Erkenntnis Gottes und das Schauen der göttlichen Schönheit ist seine Wesensbestimmung.“ (ebd.)

In einer Überlieferung heißt es, dass Allah, der Erhabene, gesagt habe:
„Ich war ein verborgener Schatz. Ich wünschte erkannt zu werden, darum erschuf ich das Universum.

„Die Erkenntnis Gottes erlangt das Herz durch die Erkenntnis der Werke Gottes. Die Vernunft ist die Dienerin des Herzens, um für das Herz eine Lupe oder Brille zu sein, mit deren Hilfe es Gottes Werke erforscht und darin Gottes Wirken erkennt.“ (ebd.)



Ein gängiger Irrglaube ist es, sich mit der Vernunft zu identifizieren. Deine Vernunft ist ein Werkzeug deines Ichs, es ist jedoch nicht dein Ich. Du bist nicht dein Verstand. Diese Tatsache begreift man am besten durch Meditation, wenn der eigene Kopf still ist. Dann erkennst du, dass der König in deinem Dreiklang (Körper, Verstand und Herz) dein Herz/dein Geist ist. Denn dieses ist für die Ewigkeit bestimmt. Obwohl sich dein Körper eines Tages im Erdreich zersetzen wird, bleibt unabhängig von der Hülle dein Geist lebendig.

So empfiehlt der weise Rumi:

"Gib deinem fleischlichen Körper nicht zu viel an Nahrung, denn er wird am Ende doch der Erde geopfert! 
 Versuche stattdessen, deinem Geist Nahrung zu geben, denn er ist es, der zu erhabenen Höhen aufsteigen und dem die höchste Ehre zuteil werden wird!
 Gib deinem Körper möglichst wenig von gutem Fett und köstlichem Honig, denn jene, die ihn damit über die Maßen füttern, fallen den Launen des Egos zum Opfer und nehmen ein schändliches Ende!
 Gib deiner Seele geistige Nahrung! Versorge sie mit reifen Gedanken, feinem Verständnis und spiritueller Nahrung, so dass sie gestärkt und voller Kraft die Reise an ihren Bestimmungsort in der endlosen Weite antreten kann!"

Dein Herz ist also nicht von dieser Welt, es ist für die Ewigkeit bestimmt. Woher kommt jedoch dein Geist?

Noch ehe die Menschen auf der Erde wandelten, schuf Allah alle Geister der Menschen und versammelte sie bei sich. Sobald ihre Zeit gekommen war, erschuf Allah die jeweilige leibliche Hülle auf der Welt durch die Vereinigung von Samen und Eizelle und hauchte den Geist in diese Hülle ein.

Mit der Geburt wird der Mensch von Gott getrennt und begibt sich auf Terra incognita. Mit der Zeit lernst du, dir deinen Körper untertan zu machen und zu kontrollieren. Du erlernst das Denken, das Gehen und das Sprechen. Jene, die sich nicht auf den Weg der Selbsterkenntnis begeben, denken daher, dass ihr Ich lediglich aus ihrem Verstand und ihrem Körper bestünde. Auf der Erde ist der Mensch physikalischen Gesetzen, den Unzulänglichkeiten der körperlichen Hülle wie dem Altern oder Krankheiten und schließlich dem Tod unterworfen.

So heißt es im Qur’an in Surah 57, Vers 20: „Wisst, dass das diessseitige Leben nur Spiel und Zeitvertreib ist, Schmuck und gegenseitige Prahlerei und Wettstreit nach noch mehr Besitz und Kindern. Es ist wie das Gleichnis von Regen, dessen Pflanzenwuchs den Pflügern gefällt. Hierauf aber trocknet er aus, und da siehst du ihn gelb werden. Hierauf wird es zu zermalmtem Zeug. Im Jenseits aber gibt es strenge Strafe und (auch) Vergebung von Allah und Wohlgefallen. Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuss.“

Und auf dieser Lebensreise ist der Mensch grundsätzlich auf sich allein gestellt, was das Dasein zu einer einsamen Existenz in einem schier unerträglichen Gefängnis macht.

So spricht Allah im Qur’an in Surah 103 weiter: „Bei der Zeit! Die Menschen sind wahrlich im Verlust; außer denjenigen, die glauben und gute Werke tun und sich gegenseitig die Wahrheit ans Herz legen und sich gegenseitig zur Geduld anhalten.“



Warum ist also der Glaube so elementar und was hat er mit der Liebe zu tun?

Der Glaube ist so wichtig, weil durch ihn die Befreiung aus dem Gefängnis des irdischen Daseins möglich wird. Das Abgetrenntsein von Allah, bei dem wir uns bis zur Vereinigung unseres Geistes mit unserem Körper befanden, empfinden wir als großen Schmerz, als eine Unvollständigkeit, eine tiefe Leere, die uns ein lebenlang begleitet. Denn abgetrennt sein bedeutet abgeschnitten zu sein, also völlige Hilflosigkeit. Und dieses Abgetrenntsein von Allah ist die Urquelle aller Angst und Einsamkeit auf der Welt.

Das größte Bedürfnis des Menschen ist demnach, seine Abgetrenntheit von Allah zu überwinden und aus dem Gefängnis der Einsamkeit herauszkommen. Ein Scheitern dieses Vorhabens führt zu einer immensen inneren Leere, die zwischenzeitlich durch allerlei vergnüglichen Zeitvertreib vorübergehend ausgeblendet wird.

Dabei eilt man von einem Spektakel ins andere, um nie mit sich selbst allein sein zu müssen. Denn dann müsste man sich auf den Weg zur Selbsterkenntnis begeben, und dieser ist beschwerlich, da unklar ist, welche schlummernden Charaktereigenschaften man zutage führt, vor deren Existenz man sich fürchtet. Außerdem ist ungewiss, was auf einen am Ende dieses Pfades erwartet.

Der Gelehrte Rumi schreibt im Mathnawi:
„Welch gewaltiges Glück ist jenen beschieden, die sich von ihrem vergänglichen Wesen entfernen und frei von der Selbstsucht des Egos werden, so dass sie mit den Unsterblichen vertraut und verbunden sind. Wie schade ist es hingegen um jene, die, obwohl sie leben, mit den Toten zusammensitzen und selbst innerlich gestorben sind.“

Und wenn der Mensch die Leere nicht beseitigen oder immer wieder ausblenden kann, dann führt das dazu, dass dieser sich weiter isoliert und immer mehr danach trachtet, seinen Verstand zu betäuben, um diesen Fragen aus dem Weg zu gehen – bis er (im Extremfall) keinen Sinn mehr im Dasein auf der Erde sieht.

Das Streben nach der Vereinigung mit Gott ist die Medizin für die Einsamkeit. Denn wer sich selbst erkennt, wird Gott erkennen. Und wer Allah erkennt, liest im Worte Gottes in Surah 30, Vers 21: „Und es gehört zu Seinen (Allahs) Zeichen, dass Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet; und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.“



Liebe ist die Suche nach Verbundenheit. Liebe ist die Überwindung der apathisch machenden Einsamkeit, die Erfüllung der Sehnsucht nach Einheit. Wir möchten die Fraktur in unserem Dasein, das durch das Getrenntsein von Allah entstand, kurieren. Wir möchten uns wieder ganz fühlen.

Mann und Frau waren ursprünglich eins, darauf deutet das Wort Gottes oben hin – „aus euch selbst Gatinnen erschaffen“. Was einst ein Ganzes war, gehört auch auf der Erde zusammen. Bereits seit der urersten Trennung von Adam und Eva trachtet jeder Mann danach, seine verlorene weibliche Hälfte zu finden, um sich aufs neue mit ihr zu vereinigen und eins zu werden.

So sagte dereinst ein Gelehrter: „Gott hat die Geister in Gestalt von Kugeln erschaffen und jede Kugel in zwei Hälften geteilt, die den Sphärenthron umkreisen. Wenn nun zwei Hälften sich dort wiedererkennen und zusammenkommen, so finden sie sich auch auf dieser Erde wieder.“

Diese Polarität ist elementar. Durch die Vereinigung von weiblichen Eizellen und männlichen Spermien kommen wir auf die Welt.

So sprach dereinst der islamische Gelehrte Dschalaladdin Rumi:

Wahrlich nie sucht der Liebende, ohne von der Geliebten gesucht zu werden.
Hat der Blitz der Liebe dieses Herz getroffen, so wisse, dass auch jenes Herz voll Liebe ist.
Wächst die Liebe zu Gott in deinem Herzen, so wirst auch du ohne Zweifel von Gott geliebt.
Kein Händeklatschen ertönt nur von einer Hand ohne die andere.
Göttliche Weisheit und Gottes Ratschluss macht, dass wir einander lieben.
Durch diese Vorbestimmung ist jeder Teil der Welt mit seinem Gefährten gepaart.
Nach Ansicht der Weisen ist der Himmel der Mann und die Erde die Frau: Die Erde zieht auf, was vom Himmel herabfällt.
Fehlt der Erde die Wärme, so schickt sie der Himmel; geht ihr Frische und Nässe verloren, so versorgt sie der Himmel aufs neue.
Der Himmel geht seinen Lauf wie der Gatte, der nach Nahrung sucht für sein Weib; und die Erde widmet sich eifrig häuslichen Pflichten: Sie hilft bei der Geburt und nährt, was sie gebiert.
Siehe, auch Erde und Himmel sind mit Verstand begabt, verrichten sie doch das Werk verständiger Wesen.
Fände der eine nicht Gefallen am andern, weshalb hingen sie dann wie Liebende aneinander?
Wie sollten Blumen und Bäume blühen ohne die Erde? Was würde sie ohne Wasser und Wärme des Himmels erzeugen?
So wie Gott in Mann und Frau das Verlangen gepflanzt hat, auf dass die Welt erhalten bliebe durch ihre Vereinigung, so hat Er auch jedem Teil der Welt das Verlangen nach einem anderen Teil dieser Welt eingepflanzt.
Feinde sind Tag und Nacht von außen gesehen, doch dienen sie beide demselben Zweck:
Beide lieben einander, um gemeinsam ihr Werk zu vollenden.
Ohne die Nacht würde des Menschen Natur nichts empfangen, so dass der Tag nichts mehr zum Ausgeben hätte.


Liebe ist Göttliche Fügung

Es heißt: „Göttliche Weisheit und Gottes Ratschluss macht, dass wir einander lieben.
Durch diese Vorbestimmung ist jeder Teil der Welt mit seinem Gefährten gepaart.“

Und das ist entscheidend, denn Liebe ist demnach kein willkürlicher Zufall, wie manche glauben, sondern göttliche Fügung. Liebe ist ein geheimnisvolles Mysterium. Es lässt uns neue Spähren unseres Ichs erkunden, denn Liebe macht uns Menschen lebendig.

Rumi schreibt im Mathnawi:
„Durch die Liebe werden trübe Gewässer klar wie Kristall. Fürwahr, die Liebe erweckt selbst ein totes Herz zum Leben und macht aus einem König einen Sklaven.“

Und die Liebe in Gott ist die höchste Stufe der Liebe. Denn diese Liebe ist vor allem: Bedingungslos und Ewig.

Denn alle anderen Gründe, wegen derer man jemanden liebt, sind vergänglich. Sie könnten und werden irgendwann aufhören zu bestehen. Dahingegen ist die Liebe in Gott ewig, weil diese einem nicht weggenommen werden kann und nicht an Bedingungen geknüpft ist.

Die bedingslose Liebe, die an keine Voraussetzungen geknüpft ist, strömt vom Geliebten zu allem über, was mit diesem zusammenhängt. Wer etwa einen Menschen mit großer Liebe liebt, der liebt auch den, der diesen Menschen liebt und den, der von diesem Menschen geliebt wird.

So sagte Medschnun aus dem Stamme der Beni Amir:

„An dem Hause geh ich vorbei, an dem Hause Leilas,
Und küsse diese Wand und küsse jene.
Nicht Liebe zum Haus hat mir das Herz verwundet,
Nein, Liebe zu der, die im Hause wohnet.“

So ist es auch mit der Liebe zu Allah. Wenn sie stark ist und das Herz überwältigt und in Besitz nimmt, so strömt sie über auf jegliches Wesen außer ihm, weil jegliches Wesen außer ihm sein Wirken ist.

Bei manchen Leuten nun erreichte die Liebe zu Gott ein solches Maß, dass sie sagten: „Es ist kein Unterschied zwischen Heimsuchung und Wohltat, denn beides kommt von ihm, und wir freuen uns über alles, was ihm gefällt.“

Geprüft wird die Liebe durch den Wettstreit mit dem eigenen Vorteil. So sagt der Dichter:
„Ich will zu ihm, doch er wünscht, dass ich gehe,
So geb ich meinen Willen hin dem seinen.“

Und darin äußert sich die bedingungslose Liebe. Solch eine, die nicht an Vergängliches gebunden ist, sondern ewig währt.



Der Gesandte Gottes Muhammad, Friede sei mit Ihm, spricht: „Am Jüngsten Tage werden rings um Gottes Thron Sitze aufgestellt werden für eine Schar von Menschen, deren Gesichter leuchten wie der Mond in der Nacht der Fülle. Die Menschen werden in Angst sein, sie aber werden nicht in Angst sein; die Menschen werden sich fürchten, sie aber werden sich nicht fürchten. Das sind die Heiligen Gottes, die keine Furcht kennen noch traurig sind.“
Man fragte ihn: „Wer sind diese, o Gesandter Gottes?“
Er sprach: „Das sind die, die sich in Gott lieben.“
Und weiter: „Gott spricht am Jüngsten Tage: ,Wo sind die, die einander liebten um meinetwillen? Heute, da es keinen Schatten gibt, in dem sich die Menschen bergen können, will ich sie in meinem Schatten bergen.'“

Der Gesandte Gottes spricht: „Die sich lieben in Gott werden wohnen auf einem Säulenbau von rotem Rubin; auf dem Säulenbau sind siebzigtausend Gemächer, von denen werden sie herabblicken auf die Bewohner des Paradieses; ihre Schönheit wird den Bewohnern des Paradieses leuchten, wie die Sonne den Bewohnern der Erde leuchtet, und die Himmelsbewohner werden sprechen: ,Lasset uns gehen und die Liebenden in Gott schauen, denn ihre Schönheit leuchtet wie die Sonne.‘ Sie sind angetan mit Kleidern von grüner Seide, und auf ihren Stirnen steht geschrieben: ,Die Liebenden in Gott‘.“

Mudschahid sagt: „Wenn zwei, die sich in Gott lieben, sich begegnen und einander zulächeln, so fallen die Sünden von ihnen ab wie die dürren Blätter von den Bäumen im Winter.“

Der Gesandte Gottes spricht: „Wo immer zwei sich in Gott lieben, da liebt Gott den am meisten, der seinen Gefährten am meisten liebt.“

Inspiriert von „Das Elixier der Glückseligkeit“ von Imam Ghasali, „Tropfen vom Wasser des Lebens“ und „Ein Krug voll Wasser aus den Gärten des Mathnawi“ von Osman Nuri Topbas und „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm

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