Der faszinierende Duktus Else Lasker-Schülers (ELS-Teil 7)
Bei den ersten Gedichten der Poetin, welche man zu hören bekommt, ist man verwirrt und fasziniert zugleich. Verwirrt, da es ähnliche Muster in anderen Gedichten in Klang und Vokabular kaum gegeben hat. Es scheint alles so ungewohnt, geradezu fremd. Selbstverständlich trägt diese Exotik dem orientalischen Flair bei. Anschließend weicht die Verwirrung der Faszination, weil die Reime genial und die Klänge wunderschön sind. Wie schon im dritten Kapitel über das Gedicht „Ein alter Tibetteppich“ ausführlich die Klangmagie beschrieben wurde, so gibt es noch weitere Merkmale in den Gedichten Else Lasker-Schülers, welche ihren individuellen Duktus ausmachen.
Der Usus von ausdrucksstarken Metaphern ist ein wichtiger Bestandteil ihres Stils. Diese Metaphern kreieren fantastische Welten, bunte Persönlichkeiten und intensive Gefühle. Im Gedicht „Sinnenrausch“ lässt sich eine kreative Metapher finden: „Ich trinke sinnberauscht aus seiner Quelle“ (V. 4). Hier erschafft sich die junge Dichterin einen Vers voller Leidenschaft und Emotion. „Sinnberauscht“ ist das lyrische Ich, als es aus „seiner Quelle“ trinkt. Was kann damit gemeint sein? Sofort schießen uns persönliche Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühle durch den Kopf. Weiterhin gibt es eine bemerkenswerte Metapher im Gedicht „Triebe“: „Es treiben mich brennende Lebensgewalten, / Gefühle, die ich nicht zügeln kann. / Und Gedanken, die sich zur Form gestalten, / Sie greifen mich wie Wölfe an.“ (V. 1-4). Sieht man von dem fesselnden Klang ab, so bannen einen die Metaphern. Es entsteht ein gewaltiges Bild in dem Kopf des Hörers, wenn er diese Zeilen auf sich wirken lässt.
Darüber hinaus haftet oftmals eine düstere Stimmung an ihren Gedichten. Dies liegt u.a. daran, dass Else Lasker-Schüler wiederholt Wortfelder aus dem Bereich Tod, Sünde, Angst und Schmerz verwendet. In „Giselheer dem König“ schreibt sie etwa: „Und fürchte mich / Vor der schwarzen Erde.“ (V. 11f.).
Das Besondere daran ist die Verwendung dieser Wortfelder in Gedichten der Liebe. Bei dem Gedanken an die Liebe kommt kaum die Assoziation mit der Furcht vor dem Tod auf, dennoch lässt sich dieses Motiv auch in weiteren Werken Else Lasker-Schülers finden, wie z.B. in ihrem Gedicht „Liebe“. Erneut täuscht der Titel, wenn man dabei an glückliche und zufriedene Momente des Lebens denkt, so heißt es hierzu: „Und stürbst du in meiner sengenden Glut . . . / Meine Hölle verbirgt dein Himmelreich“ (V. 10f.). Wieder ist die Rede vom Sterben und von Himmel und Hölle. Bewusst greift die Poetin diese Wortfelder auf und erzeugt damit einen mystischen Ton in ihren Gedichten. Gewiss beabsichtigt sie damit auch, dass beim Hörer eine Art Achterbahnfahrt-der-Gefühle entsteht. Mal ist das lyrische Ich in Angst und Schrecken, kurze Zeit darauf erholt es sich und ist euphorisch. Dieses ständige Auf und Ab der Emotionen fesselt den Hörer an die Lippen des Lesers des Gedichts.
Die Benutzung von orientalischen Bezeichnungen für Orte und Menschen ist wohl das bedeutendste Merkmal in dieser Reihe. Ihr Duktus zeichnet sich vor allem wegen dieser Welt aus. Sie selbst war Jussuf, der Prinz von Theben.
Fast immer unterzeichnete sie Briefe mit „Prinz von Theben“, gab ihren Gesprächspartnern merkwürdige Namen und stellte ihnen einen Rang zu, je nachdem, was sie von diesen hielt. Nicht nur in ihren Gedichten war dies der Fall, sondern auch in ihrem Alltagsleben setzte sich diese Vorgehensweise durch. Dies ist ein Beweis für die Intensität der Präsenz der Fantasiewelt Theben in Else Lasker-Schülers Privatleben. Beispiele hierfür sind z.B. ein Brief an Earl[1], welchen sie mit „Tino Waly aus Bagdad, Dichterin vom Tigris“ unterschreibt. Weiterhin schrieb sie ihrem Prager Verehrer Willy Haas: „Sehr verehrter Prinz von Prag, Wir zwei Neger schreiben Ihnen im Namen des regierenden Prinzen von Theben Jussuf I. […]“[2]. Diese Schreibart und Bezeichnungen wiederholte sie so oft, bis es von der Allgemeinheit als eine Routine anerkannt wurde. Wo immer man nun das Pseudonym „Prinz Jussuf von Theben“ vernimmt, kann man mit großer Zuversicht sagen, dass es sich hierbei um Else Lasker-Schüler handelt.
Eine Frau, die mit einem männlichen Pseudonym Weltruhm erlangte.
[1] Decker, Mein Herz, S. 182f.
[2] Ebd., S.227
Verwendete Literatur
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Rüdiger, H., In orientalischer Verkleidung, in: M. Reich-Ranicki (Hg.), 1400 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Von Theodor Fontane bis Else Lasker-Schüler, Frankfurt am Main 2002
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Pinthus, K., Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus, Berlin 1920
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Decker, K., Mein Herz – Niemandem. Das Leben der Else Lasker-Schüler, Berlin 2010
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Demski, E., Else Lasker-Schüler. Liebesgedichte, Frankfurt am Main 2002
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Braungart, W., Höre! – Fühlst du nicht?, in B. Lermen (Hg.), Interpretationen. Gedichte von Else Lasker-Schüler, Stuttgart 2010