Erkenne dich selbst

Erkenne dich selbst

Schon bei Sokrates hieß es: „Erkenne dich selbst.“ [Γνῶθι σαυτόν Gnṓthi sautón] (Sokrates in Platon, Apologie)

Und auch der ehrwürdige Imām al-Ghazali lehrte uns:
„Darum sollst du nach Erkenntnis deines wahren Wesens streben, was du bist, woher du gekommen bist, wohin du gehst, und zu welchem Zweck du für diese paar Tage in diese Karawanserei gekommen bist, wozu du erschaffen bist, worin dein Glück besteht und wodurch du glücklich wirst, worin dein Elend besteht und wodurch du elend wirst.“ (Elixier der Glückseligkeit)

Auch sagt der islamische Gelehrte Dschalaladdin Rumi in seinem Mathnawi: „O Reisender auf dem Weg der Wahrheit! Erst wenn du deine äußere Gestalt, die Einflüsterungen, die dich beherrschen, und dein von Stolz erfülltes Selbst verbrennst, wenn du dich von der Anbetung deines eigenen Egos, der Mutter aller Götzen, befreist, hast du gelernt, alle inneren Götzen zu zerschlagen.“

Und wie Sokrates einst erkannte, dass alle seine Mitbürger zwar glaubten, über das Gute und die Tugenden Bescheid zu wissen, sie aber in Wirklichkeit in einem Scheinwissen befangen waren, das einer strengen Prüfung durch den Logos (Vernunft) im Gespräch nicht standhält, so muss der GOTTbewusste Mensch von heute dem modernen Bürger durch Elenktik aufzeigen, wie begrenzt dessen Wissen über die Welt und dessen Bewusstsein über den Sinn der Existenz im Angesicht seiner beispiellosen Arroganz ist.

Fehlende Selbstkenntnis führt zu Unrecht

Wenn Sokrates also sagt: „Niemand tut freiwillig (das heißt wissentlich) Unrecht“, so erinnert das an die Worte des geehrten Gesandten Gottes, Jesus Christus, der Sohn der edlen Maria, Friede sei mit ihnen beiden, der gesagt haben soll: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Auch der letzte Gesandte Gottes, „ein Prophet wie Moses“ (vgl. Deuteronomium 18:15), der edle Muhammad, Friede sei mit Ihnen beiden, hat dereinst gesagt: „Mein Herr, vergib meinem Volk, denn sie sind unwissend.“ (Sahih al-Muslim)

Man, in the traditional sense of the term corresponding to insān in Arabic or homo in Greek and not solely the male, is seen in Islam not as a sinful being to whom the message of Heaven is sent to heal the wound of the original sin, but as a being who still carries his primordial nature (al-fitrah) within himself, although he has forgotten that nature now buried deep under layers of negligence.

Seyyed Hossein Nasr, The Heart of Islam: Enduring Values for Humanity


Jede schlechte Handlung entspringt der Unkenntnis über „Gut“ und „Böse“. Der Wissende ist jedoch gut. Die meisten Menschen befinden sich jedoch, so Sokrates, die Propheten Jesus und Muhammad, Friede sei mit Ihnen, unisono, im Zustand der Unkenntnis, des Zeitvertreibs:

„Wie, bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangest, und für Ruhm und Ehre; – für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, dass sie sich aufs Beste befinde, sorgst du nicht, und hierauf willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl darauf, werde ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mir scheint, er besitze keine Tugend, behaupte es aber, so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher.“ (Sokrates in Platon, Apologie, 17)

Während Sokrates jedoch nur Helfer der Einsicht sein will (sogenannte Mäeutik), sind die Propheten die Lehrer der Menschheit mit den Offenbarungen des göttlichen Wortes.

Und im Gegensatz zu den Kyrenaikern, die Hedonisten waren, d.h. ihre Lust vergötterten, und den Kynikern, die vollständige Entsagung gar Geringschätzung des Materiellen predigten, gebietet Gott eine ausgeglichenes Leben: „Und so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht, damit ihr Zeugen über die (anderen) Menschen seiet.“ und auch „Unter ihnen gibt es aber auch solche, die sagen: ,Unser Herr, gib uns im Diesseits Gutes und im Jenseits Gutes, und bewahre uns vor der Strafe des (Höllen)feuers!‘“ (Quran 2:143 und 201)

Auch der römische Dichter Horaz schrieb:
„Zwischen dem Werk, das du treibst, lies stets und befrage die Weisen,
Wie du leichten Sinnes hinbringen mögest das Leben,
dass Begierde dich nicht, die immer bedürftige quäle,
Noch auch Furcht und Hoffnung auf wenig nützliche Dinge.“

(Epistulae, I, 18, vv. 96-99)

„Das Gute“

Wenn später Platon „das Gute“ in den Fokus rückt – beseelt von Sokrates – es gar als Ziel und Ursprung alles Seins definiert, dann vermag er nicht, das Gute universell definieren zu können. Denn es kann „das Gute“ im sogenannten humanistischen Sinne gar nicht geben – zu verschieden sind dafür die Menschen. Dennoch gibt es „das Gute“, aber es muss definiert werden durch den einen effizienten, extrinsischen Auslöser dieses Universums – dafür sandte ebendieser Auslöser, dessen Name Allah ist, Propheten als Botschafter mit seinem Willen auf die Erde.

Friedrich Nietzsche und Fjodor Dostojewski begannen sich im 19. Jahrhundert mit dem „Tod Gottes“ auseinanderzusetzen – der Zerrüttung des traditionellen, religiösen Glaubens durch „die Wissenschaft“. Wenn Gott stirbt, so Dostojewski, „dann wird alles erlaubt sein“. Dies ist eine sehr beängstigende Vorstellung. Wenn man sich durch die Zeit und die Geschichte des 19. Jahrhunderts bewegt und den Nationalsozialismus und die Schrecken des totalitären Kommunismus betrachtet, wirkt Dostojewski geradezu prophetisch. Dasselbe gilt für Nietzsche, der glaubte, dass die Menschen nach dem „Tod Gottes“ von utopischen politischen Ideen besessen sein würden. Nietzsche stellte auch die These auf, dass der Mensch seine eigenen Werte schaffen müsse, um die durch den „Tod Gottes“ hinterlassene Leere zu füllen. Jeder Versuch, diese Leere bisher durch etwas Menschenerdachtes zu füllen, ist kläglich gescheitert. Der Humanismus, von dem es weder eine einheitliche Fassung noch Richtung oder Kanon gibt, schmuggelt trotz vorgeblicher Religionslosigkeit abrahamitische Werte in sein Weltbild. Abraham, Friede sei mit Ihm,einer der edelsten Propheten Gottes, ist der Urvater der moralischen Werte der Menschheit – eines zeitlosen Kodex, der vom allmächtigen Schöpfer vor der Kreation des Universums vorbestimmt worden ist.

Und der Islam lehrt uns, dass, noch ehe die Menschen auf der Erde wandelten, Allah alle Geister der Menschen schuf und sie bei sich versammelte. Sobald ihre Zeit gekommen war, erschuf Allah die jeweilige leibliche Hülle auf der Welt durch die Vereinigung von Samen und Eizelle und hauchte den Geist in diese Hülle ein. Mit der Geburt wird der Mensch von Gott getrennt und begibt sich auf Terra incognita – bis er sich wieder mit seiner Präexistenz vereinen kann.

„Die Erkenntnis Gottes und das Schauen der göttlichen Schönheit ist [des Herzen] Wesensbestimmung.“ (Elixier)

In dieser Tradition könnte man mit etwas gutem Willen Platons Anámnesis wiedererkennen: „Die Seele hat die Ideen in der Präexistenz geschaut, aber beim Eintritt in den Körper vergessen.“

Der Glaube an das letzte Testament Gottes, den Qur‘an, ermöglicht die Befreiung aus dem Gefängnis des irdischen Daseins und die Nähe zu dem Allbarmherzigen. Das Abgetrenntsein von Allah, bei dem wir uns bis zur Vereinigung unseres Geistes mit unserem Körper befanden, empfinden wir als großen Schmerz, als eine Unvollständigkeit, eine tiefe Leere, die uns ein Leben lang begleitet. Denn abgetrennt sein bedeutet abgeschnitten zu sein, also völlige Hilflosigkeit. Und dieses Abgetrenntsein von Allah ist die Urquelle aller Angst und Einsamkeit auf der Welt.

Das größte Bedürfnis des Menschen ist demnach, seine Abgetrenntheit von Allah zu überwinden und aus dem Gefängnis der Einsamkeit herauszukommen. Ein Scheitern dieses Vorhabens führt zu einer immensen inneren Leere, die zwischenzeitlich durch allerlei vergnüglichen Zeitvertreib vorübergehend ausgeblendet wird.

Dabei eilt man von einem Spektakel ins andere, um nie mit sich selbst allein sein zu müssen. Schopenhauer sagte schon: „Ein geistreicher Mensch unterhält sich in gänzlicher Einsamkeit durch seinen eignen Gedanken und Phantasien vortrefflich: während ein Stumpfer Langeweile empfindet trotz beständiger Abwechslung von Schauspielen, Festen und Ausfahrten. – Ein guter, gemäßigter Charakter kann bei sehr dürftigen Umständen zufrieden sein; während ein böser, begehrlicher, neidischer Charakter es bei allem Reichtum nicht ist.“ (Die Kunst, glücklich zu sein, Seite 99)

Der Gelehrte Rumi schreibt im Mathnawi:

„Welch gewaltiges Glück ist jenen beschieden, die sich von ihrem vergänglichen Wesen entfernen und frei von der Selbstsucht des Egos werden, so dass sie mit den Unsterblichen vertraut und verbunden sind. Wie schade ist es hingegen um jene, die, obwohl sie leben, mit den Toten zusammensitzen und selbst innerlich gestorben sind.“

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